Eine Halbzeit bei Union

Als ich vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen bin, war das Einzige was mich wirklich davor zurückschrecken ließ, alles was mit Schalke 04 zu tun hat. Nach ein paar […]

Als ich vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen bin, war das Einzige was mich wirklich davor zurückschrecken ließ, alles was mit Schalke 04 zu tun hat.

Nach ein paar Monaten fehlt einem natürlich noch Anderes, jedenfalls fällt mir jetzt erst so richtig auf, was mir am Ruhrgebiet und zuletzt in Düsseldorf so gefiel.

In meinem sozialen Umfeld tauchten bisher nur Unioner auf und natürlich ergab es sich, dass man auch mal zu einem Spiel mitgeht. Aus 2001 hat man irgendwie noch gute Erfahrungen. Union und Schalke, dass ist kulturell nicht so ganz weit entfernt.

Eisern Union stand letzten Montag nur ein Sieg gegen (ausgerechnet) den 1. FC Nürnberg davon entfernt auf Platz 1 der zweiten Liga zu klettern und das Stadion war ausverkauft.

Als Gruppe von knapp 10 Leuten war es dem Organisator der Sache irgendwie Wert uns besonders gute Plätze zu beschaffen. Also waren wir sehr zeitig im Stadion. 16€, Stehplatz auf der Gegengerade. Exakt auf Höhe der Mittellinie warteten wir auf den Anpfiff. Bis es sich ereignete, dass ich auf einmal Mitten in ein Gespräch Leute zwischen uns stellten.

Auf den Hinweis, dass sie sich sich gerade in Mitten meiner Reisegruppe bequemt hatten, reagierten sie reichlich empört. „Ich steh schon immer hier“ schlug es mir entgegen. Als Pöbel-Experte brauchte ich nicht lange um ein „ich auch, seit dem ich zu Union gehe“ zu entgegnen, was natürlich zunächst für einige Lacher sorgte. Ich selbst kam mir eigentlich eher reichlich beschämt vor. Schließlich würde ich es mega zum kotzen finden, wenn sich so Touristen, gerade weil es hipp ist und Union raketenmäßig abgeht auf die besten Plätze stellen und dann auch noch auf Stammplätze. Ich konnte die Situation leider nicht mehr entschärfen, obwohl ich es gerne getan hätte. Der von mir zurückbepöbelte hat sich nicht mehr eingekriegt, auf meinen lustig gemeinten Hinweis, dass ich schon seit 20 Jahren eine Dauerkarte habe, eskalierte er quasi. „Wo denn? Die will ich sehen! Bei Hertha oder wat?“. Kein dazwischen kommen mehr. Ich zog es vor, lieber die Fresse zu halten. Am liebsten würde ich mich entschuldigen. Boldt (oder so ähnlich) und Rückennummer 1 war auf seinem Trikot.

Bei Union gewesen zu sein war irgendwie wie in Parkstadionzeiten auf Schalke zu gehen. Es roch nach Holzkohle Bratwurst. Irre. Dieser Geruch im Fussballstadion. Das Stadion von Union, die Alte Försterei, wurde 2008 saniert. Die Betreiber-Gesellschaft ist eine Aktiengesellschaft und 44% der Aktien gehören Fans, der Verein hält 55%. Stolz sind sie in Berlin darauf, dass das Stadion mit mithilfe der Fans umgesetzt wurde.

Flutlicht, so Richtiges. Das von vier Seiten, und nicht vom Hallendach. Das macht eine andere Atmosphäre. Eine ehrlichere, als das Flutlicht, welches vom Arenadach kommt.

Ein paar Sachen sind mir sehr wohlwollend aufgefallen bei Union. Es wurden 2 ältere Spieler verabschiedet und eine langjährige Mitarbeitern. Ich glaub sowas ähnliches wie der Charly Neumann von Union Berlin.

Während der Verabschiedung und während des Aufwärmens nahmen alle Spieler an der Verabschiedung teil, selbst Jens Keller, den ich auch aus 50m Entfernung erkenne, war dabei und applaudierte.

Es gab kein richtig nerviges Vorprogramm, wo Sponsor XYZ irgendwas präsentiert. Zwar gab es auch einen Stadionsprecher und eine Kamera, die das ganze auf der Videoleinwand übertrug, aber es war nicht omnipräsent, sondern eher beiläufig. Man konnte sich gut unterhalten.

Während die Gästefans willkommen geheißen wurden, applaudierte das Stadion. Das gefiel mir. Man muss nicht jeden gleich als Hurensohn beschimpfen. Ich frag mich, wo dieser kulturelle Unterschied herkommt. Wie entwickelt sich sowas? Auf Schalke wird jede Gastmannschaft erstmal angepöbelt. Ich bin auch so sozialisiert worden und fand das lange normal. Aber eigentlich ist es bescheuert. Die Glubb-Fans sind am Montag 450km gefahren, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Das allein nötigt zunächst einmal Respekt ab, wenn man ehrlich ist. Das hat mir also imponiert.

Richtig Freude bereitet hat mir allerdings, dass dieses dämliche und überall gleich geschalte Mannschaftsaufstellungs-Prozedere bei Union anders ist. Während die Aufstellung des 1. FC Nürnberg durchgesagt wurde, schalte es nach jedem Spielernamen ein „Ja und?“ durch das Stadion. Witzig.

Bei der eigenen Mannschaft hingegen sagt der Stadionsprecher den vollen Namen. Richtig gelesen. Nicht den Vornamen und das Stadion brüllt mehr oder weniger zusammen den Nachnamen, auch bei dem hinterletzten Bankdrücker sondern der ganze Name wird einfach vorgelesen. Das Stadion antwortet danach mit „Fußballgott“. Es ist eine Nuance, die mir gefiel.

Vermutlich gibt es bei Union Berlin noch mehr zu entdecken. Aber irgendwas störte mich trotzdem. Ich stand auf dem Stehplatz eines fremden Vereins. Und nicht dem des 1. FC Nürnberg, wo ich schon so viele Spiele im Stadion gesehen habe, sondern bei einem völlig Fremden.

Ich bin in der Halbzeit abgehauen. Irgendwas war zu viel. Die fremden Gesänge, das Rumgehüpfe, das irgendwie ein bisschen Assi sein, halte ich bei Schalke 04 gut aus. Das ist meine Heimat, meine Herzensangelegenheit aber in fremden Kurven finde ich das gruselig.

Union ist wirklich ein wenig anders, als alles, was ich bisher gesehen habe und das sollten locker mehr als 100 Stadien und Fans gewesen sein.

Gespannt bin ich, wie sich das ganze in der 1. Bundesliga darstellt, sollte Union Berlin wirklich aufsteigen. Was passiert eigentlich, wenn der Verein mal europäisch spielt und aus einem 3/4 Stehplatz-Stadion ein reines Sitzplatz-Stadion wird?

Vor dem Spiel hörte ich einige, die sich über den heutigen Zulauf des Spiels naserümpfend beschwerten. „Sind wohl einige Zujezogene da, wa?“ – Ja so war das und es wird mit dem weiteren Erfolg nicht weniger. Union hat gewonnen. Die Fans sangen „Scheiße, wir steigen auf“.

Dafür alles erdenklich Gute.

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