Mit Papa auf Schalke

Die halbe Woche war Aufregung: Wo sitzen wir? Wann fahren wir los? Wie kommen wir dorthin? Was ich schon hundertfach irgendwie gehört oder gelesen habe, wie es ist, zum ersten Mal mit dem Kleinen ins Stadion zu gehen. Das habe ich nun auch endlich erfahren. Seit genau 20 Jahren habe ich eine Dauerkarte auf Schalke. […]

Die halbe Woche war Aufregung: Wo sitzen wir? Wann fahren wir los? Wie kommen wir dorthin? Was ich schon hundertfach irgendwie gehört oder gelesen habe, wie es ist, zum ersten Mal mit dem Kleinen ins Stadion zu gehen. Das habe ich nun auch endlich erfahren.

Seit genau 20 Jahren habe ich eine Dauerkarte auf Schalke. Mit 14 meine Erste vom hart ersparten Taschengeld finanziert. Schalke war immer ein Teil von mir und wird es immer bleiben.

Der Kleine ist 53 Jahre alt und mein Papa. Er kam mit 16 Jahren nach Deutschland. Knappe 9 Monate Deutschkurs Anfang der 80er Jahre sollten genug Integration sein.

Er wollte nie hier bleiben. 10.000 Mark verdienen und dann zurück, um sich eine selbständige Existenz aufbauen zu können. Irgendwo im Norden der Türkei am Schwarzen Meer. Die 10.000 Mark schreiben gerade diesen Artikel.

Als ich auf die Welt gespuckt wurde, war meine Mutter 17 und mein Vater 19. Alles an diesem Setup war falsch, aber das habe ich erst viele Jahre später verstanden. Papa ist ein Wort was ich mehr als 30 Jahre nicht benutzen konnte, weil ich es nicht wollte. Es ging nicht. Andere hatten Papas mit Werkbänken. Ich hatte eine permanent überforderte Mutter, die nicht viel gemacht hat, außer mich alleine zu lassen.

Mein Papa ging “auf Zeche”. Eine Ausbildung als Metallverarbeiter hat er mit 12 Jahren in der Türkei angefangen und abgeschlossen. Als er unter Tage ging sollte er Dreck von A nach B schüppen. Ein richtiger Scheißjob. Obwohl er seine Ausbildungszeit auf “Prosper in Bottrop” maximal verkürzte. Er konnte doch schon alles. Schweißen, Feilen etc. pp.

Er fing an zu heulen. Das sah zufällig der Reviersteiger, was er erst deutlich später verstanden hat, wer sich da gerade um ihn kümmerte. Ein Glücksfall. Dieser guckte sich die Unterlagen von ihm an und verstand schnell, dass dieser Junge nicht mit der Schüppe die Scheiße von A nach B schüppen konnte. Er wartete dann 10 Jahre lang die großen Maschinen, deren Namen ich nicht kenne.

Nach zwei Jahren litt er unter Rheuma. In seiner Reha schrieb der behandelnde Arzt, dass er nicht mehr Unter Tage arbeiten dürfe. Da hat er noch 8 Jahre weiter unter Tage gearbeitet. “Aufm Pütt” hat es keinen interessiert, was irgendein Arzt irgendwohin schreibt, wenn man sich nicht selber kümmern konnte.

In seiner zweiten Reha unterschrieben sie gleich den Rentenbescheid. Mein Papa hat Rente mit 34 bekommen. Er gründete schnell nach meiner Geburt eine eigene Familie mit einer türkischen Frau. Mein Bruder heißt Okan und meine kleine Schwester Aylin. Die hat mittlerweile eine eigene Familie und einen deutschen Pass. Ich bin Onkel. Glaube ich.

Ich und mein Papa hatten immer mal wieder Kontakt, aber nie länger. Einmal, da war ich etwa 9. Er schenkte mir 100 Mark. Das werde ich nie vergessen, weil ich heute noch weiß, was ich davon gekauft habe: mein erstes Schalke-Trikot. Ich habe es heute noch. Es hat die Größe L, weil es kein anderes mehr im Sport-Mode-Treff in Bottrop gab.

Mein Papa kommt aus einem türkischen Dorf. Ich war auf einer katholischen Grundschule in Bottrop. Wenn mein Papa mit meinem Bruder über mich redet, bin ich der Abi, dass heißt großer Bruder. Wenn mein Bruder eine rauchen geht, geht er um die Ecke. Das macht man als Türke so, nicht vor seinem Vater zu rauchen. Mir ist das scheiß egal. Tatsächlich ist es mir das wirklich, andererseits kenne ich solche Traditionen nicht und möchte sie auch nicht befolgen. Am liebsten rauch ich neben meinem Papa im Auto. Er sieht da auch kein Problem. In der türkischen Kultur sind viele unsichtbare Sachen wichtig, die ich nicht sehen kann, sie sind halt unsichtbar. Ich kann sie nichtmal fragen, sie sind ja unsichtbar. Sie sind halt einfach so und wenn man damit nicht aufgewachsen ist, wird es an allen Enden kompliziert.

Es ist schwierig. Er kapiert nicht, dass mir Weihnachten wichtig ist, ich kapiere nicht warum beim Zuckerfest Frauen und Männer getrennt voneinander sitzen. Er kapiert nicht, dass ich auf Religion kein bock habe, ich kapiere nicht, warum er findet, ich sollte Moslem werden.

Seit etwa 4 Jahren haben wir jetzt regelmäßig Kontakt. Davor ca. alle 5 Jahre mal für ein paar Wochen. Zum ersten Mal haben wir jetzt dauerhaften Kontakt. Das ist schön. Das ist eine Bereicherung für mein Leben. Seine Frau ist meine Anne. Das heißt auf türkisch Mutter. Ich finde das witzig. Ich habe sie sehr lieb, weil sie mich immer Willkommen heißt, selbst wenn ich mich doof benehme. Das ist nicht selbstverständlich. Wir schenken uns gegenseitig Vertrauen. Auch in Momenten, die wir nicht verstehen.

Mein Papa findet Erdogan gut. Ich finde Erdogan nicht so gut. Wir reden oft darüber, ich versuche zu verstehen, warum er Erdogan gut findet, ohne ihn zu verunglimpfen. Das wird noch ein paar Jahre dauern, aber irgendwann werden wir uns in der Mitte getroffen haben und uns beide verstehen.

Seit über 30 Jahren ist mein Vater im Ruhrgebiet, war auf Zeche und noch nie in irgendeinem Stadion. Ich hab Karten ergattern können, die uns direkt in die erste Reihe der Haupttribüne platzierten. Wegen Rheuma und kaputtem Knie parkten wir direkt auf P2, 150m Luftlinie vom Stadioneingang entfernt.

Weil ich finde, dass er eine eigene Grundausstattung benötigt, habe ich gleich am erstbesten Fanshop-Stand einen Schal und eine Mütze gekauft.

Als “Glück Auf” gespielt wurde musste ich mir ein paar Tränen verdrücken. Mir ist klar geworden, dass dieses ganze Bergbau-Gedönse dafür gesorgt hat, dass mein Papa überhaupt ins Ruhrgebiet gekommen ist. Er guckte gebannt auf den Videowürfel und sagte sowas wie “Ja, so war das”, als dort die Bilder von Unter Tage eingeblendet wurden. Das war schön. Er konnte nicht weggucken.

Original-Zeichnung Nordkurven-Bub

Kurz davor sagten die Ultras Gelsenkirchen, dass sie jetzt über 20.000€ spenden können für einen Kunstrasen-Platz. In Worten: Zwanzigtausend. Kurz nach dem Steigerlied zeigte die Nordkurve den Nordkurven-Bub auf ca. 40 x 40m. Eine Zeichnung die mal mit Filzstift von Kevin angefertigt wurde und über meinen Rechner glatt gezogen wurde. Für mich war das alles emotional. Sehr schön emotional. Ich bin fast jetzt doppelt so lange nicht bei Ultras Gelsenkirchen, wie ich bei Ultras Gelsenkirchen war und trotzdem wird es immer ein Teil von mir bleiben. Sie machen es gerade so gut. So souverän.

Gerne hätte ich diesen Moment der Choreo genossen. Ich konnte nur nicht, um uns herum saßen die Eltern der Einlaufkinder. Alle mussten das per Handy filmen. Aus einem völlig irrelevanten Winkel und in einer deutlich schlechteren Qualität als Sky das ganze sowieso aufzeichnet. Wer glaubt, Kinder sind vor solchen Auftritten nervös, hat noch nie die Eltern gesehen. Wirklich schlimm. Um uns herum ein Jack Wolfskin Massaker mit Perlenohrringen. Das möchte ich nie wieder erleben.

Als die Mannschaft zum warm machen kam, zeigten Ultras GE ein Transparent. Es war an Leon Goretzka gerichtet, der vor zwei Tagen seinen Wechsel zum FC Bayern bestätigt hat. Das Schöne an unseren Plätzen war, dass wir sehen konnten, dass Leon sich genau in der Mitte des Transparents warm lief.

Zwischendurch erzählte mir mein Papa, dass es die Leute in der Nordkurve sind, die den Verein am Leben halten. Nicht die Sponsoren. Er hat es wirklich schnell verstanden. Er ist ein Fuchs. Und ich bin es auch.

Ich habe vielleicht 20m von Christian Heidel entfernt gesessen, ich konnte ihn beobachten. Als Leon Goretzka ausgewechselt wurde, hat er ihn sehr warmherzig abgeklatscht. Mich hat das gewundert, schließlich ging ich davon aus, dass sie zusehen würden, dass Leon schnell von Schalke verschwinden müsse, um noch ein paar Euros zu machen. Jedenfalls habe ich so den Auftritt von Clemens Tönnies im Fernsehen gedeutet und auch die Aussagen auf der Pressekonferenz von Heidel selber. Das deckte sich nicht mit dem Bild, welches ich nahezu exklusiv hatte.

Schalke spielte 1:1 gegen Hannover. Zum Fussball gucken waren unsere Plätze auf Rasenhöhe wirklich beschissen, dazu die anstrengenden Eltern mit ihren Chips und Popcorn essenden Kindern. Was dafür gut war, war der Blick auf Domenico Tedesco, der permanent mehr Engagement einforderte. Einmal so sehr, dass er eine volle Getränkeflasche auf den Boden warf und damit nicht zu knapp Christian Heidel nass machte. Ich fand das geil, das war im Hochglanz-Schalke ein sehr ehrlicher Moment.

Als Goretzka ausgewechselt wurde, sang die Nordkurve “Spieler kommen, Spieler gehen”, sehr intensiv, sehr druckvoll. Es klang nicht besonders gut, dafür war zuviel Wut in den Herzen dieser Menschen. Aber Heidel konnte nicht anders, als zweimal Richtung Nordkurve zu gucken. Weil es so laut war. Ich bin mir sicher, dass er nicht verstanden hat, was da gesungen wurde. Ich bin mir sogar sicher, dass er das Lied nicht mal kennt, aber er musste gucken. Das hat mir gefallen.

Mein Papa hat während des Spiels gefragt, wie man denn Karten kaufen könnte. Zwischendurch ist mir eingefallen, dass es das erste mal ist, dass wir beide irgendwas gemacht haben. Also so zusammen. Außer an seinem Küchentisch Kaffee trinken oder sowas. Er wird wieder mitkommen. Er wird wieder fragen, wann wir los fahren, wo wir sitzen und wo wir parken. Schal und Mütze hat er jetzt aber schon.

Es ist schön.

Schalke dünyanın en iyi kulübüdür.

Schalke ist der geilste Club der Welt.

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